von Dr. André Griemert
Gigantismus und Größenwahn – Begriffe, die mit der NS-Herrschaft oftmals hinsichtlich ihrer Bautätigkeit geäußert werden und offenkundig ins Auge fallen. Wer schon einmal vor der Kongresshalle in Nürnberg stand, der weiß um die beeindruckende, geradezu erschlagende Größe dieses monumentalen Bauwerkes, das dem berühmten Colosseum stark ähnelt. Ursprünglich für Tagungen der NSDAP konzipiert, dient der 39 Meter hohe Koloss heute vor allem als Räumlichkeit für das dortige Museum samt Interimsausstellung „Nürnberg – Ort der Reichsparteitage“. Die Nürnberger Symphoniker sind hier ebenfalls untergebracht.
Doch was hat die NS-Architektur wiederum mit der NS-Ideologie zu tun? Hierüber machen sich viele Menschen eher weniger Gedanken. Um sich hierzu vor Ort selbst ein Bild von der nationalsozialistischen Gigantomanie machen, besuchten ein Leistungskurs und ein Grundkurs der Jahrgangsstufe Q3 der Hohen Landesschule in Hanau mit ihren Kurslehrern Herrn Dr. Griemert und Herrn Julian Reibling am 01.11.2022 das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Während der Führung über das Gelände zeigten sich die Schüler sichtlich schockiert über die Ausmaße der Monumentalarchitektur des Dritten Reiches: Exorbitante NS-Bauten wie der Luitpoldhain, das Zeppelinfeld, das um das Zwölffache größer als ein herkömmliches Fußballfeld ist, oder die „Große Straße“, bestehend aus 60. 000 massiven Granitplatten, zieren das um den Dutzendteich angelegte historische Areal. Kurz gesagt: Die „Faszination und Gewalt“ der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland finden sich zweifelsohne in den noch erhaltenen Bauwerken wieder, allesamt Überreste, die der unentwegten Kriegspropaganda sowie den zahlreichen Masseninszenierungen, die damals elitären Sonderveranstaltungen glichen, gedenken. Heute gelten die Bauwerke jedoch vielmehr als historisch wertvolle Zeitzeugen inmitten der Stadt, die 1933-1938 das Zentrum der Macht der NS-Reichsparteitage war.
Eben solche historische Lernorte sind für das schulische Lernen von besonderer Relevanz: Sie machen Geschichte greifbar und lebendig und ermöglichen – etwa im Falle des Reichsparteitagsgeländes als „Täter-Ort“ – die direkte Auseinandersetzung mit dem totalitären Nazi-Regimes. Gerade mit Blick auf die Demokratieerziehung der Kinder und Jugendlichen ist der Besuch derartiger Lernorte eine nahezu unverzichtbare Erweiterung des Unterrichts: In einem ganz speziellen Rahmen wird historisches und politisches Denken gefördert, indem sowohl der unbezahlbare Wert von Freiheit und Demokratie als auch die Bedeutung von gesellschaftlicher und politischer Teilhabe sowie die besondere Relevanz von Pluralismus unmittelbar vor Ort sichtbar werden.
Um dies den SuS zu verdeutlichen, absolvierten sie mit ihren Kurslehrern einen zweistündigen Geländerundgang. Zunächst betraten die Kursschülerinnen und -schüler das Innere der nur zur Hälfte fertig gestellten Kongresshalle. Ausgehend vom Eindruck der Schülerinnen und Schüler über die schiere Übergröße des Bauwerks entspann sich bereits hier eine Debatte, die immer wieder im Laufe der Führung aufkam: Wie soll man solche Bauwerke nutzen? Durch die enorme Größe der Kongresshalle, deren Höhe ca. 40 Meter beträgt, die jedoch im fertigen Zustand 70 Meter hätte betragen sollen, wurde darzustellen versucht, dass das Individuum unter der Partei steht. Im fertigen Zustand hätte das Gebäude im Inneren zudem einer Kirche geglichen und damit die Serialität der Person Hitlers untermauert.
Nach der Besichtigung der riesigen Kongresshalle führte uns unser Weg zur „Großen Straße“ und zum „Deutschen Stadion“. Ersteres Gebäude diente als Aufmarschroute für die Wehrmacht. Die Große Straße stellte zentrale Achse des Reichsparteitags dar. Sie war 60m breit und 1,5km lang, wurde aber nie fertig gestellt. Insgesamt wurden 60.000 Granitplatten verwendet, um die Große Straße zu bauen. Das „Deutsche Stadion“ sollte ein überdimensioniertes Sportstadion für 400.000 Zuschauer werden, in dem nach den Plänen Hitlers später einmal dauerhaft die Olympischen Spiele hätten abgehalten werden sollen. Fertiggestellt wurde das Stadion, wie im übrigen das gesamte Gelände, nie.
Danach ging es am Dutzendteich entlang zum Zeppelinfeld, benannt nach einer Zeppelinlandung zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Zeppelinfeld hatte als zentraler Schauplatz für die Inszenierung der Parteitage gedient und ist größer als 12 Fußballfelder. Das Zeppelinfeld – die dortige Haupttribüne hat den Pergamonaltar als Vorbild – bot wiederum Platz für bis zu 320.000 Menschen. Mit über 130 Flakscheinwerfern, die in der Nacht in den Himmel gerichtet wurden, hat man den sogenannten Lichtdom erzeugt und so die Menschen beeindruckt. Die Tribüne war mit einem großen Hakenkreuz dekoriert, welches nach dem Zweiten Weltkrieg von den Amerikanern gesprengt wurden.
Unentwegt stellte sich an allen Stationen die Frage, was mit derartigen Überresten des NS-Zeit geschehen soll. Dies wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern kontrovers diskutiert und auch im Unterricht zwei Tage später immer wieder aufs Neue problematisiert: In Ehrfurcht verfallen – im Sinne der Ruinen-Wert-Theorie eine normale menschliche Reaktion angesichts solcher gigantischer Bauten – sei dabei aber keine gute Lösung, da man so dem Willen Hitlers Rechnung trage. Dies sei umso wichtiger zu bedenken, da laut Schülermeinung das Gelände die NS-Ideologie hinsichtlich des NS-Weltmachtstrebens, der Konstruktion der Volksgemeinschaft und dem Führerprinzip durch die Ornamentik der Massenveranstaltungen und den Ausschluss von out-groups wie den Juden oder aber auch politisch Andersdenkender geradezu bildlich wiederspiegeln würden und damit zwar kritisch als Lernort eingeordnet werden müsste, zudem aber auch klar gemacht werden müsse, dass eine demokratische Gesellschaft sich Räume totalitärer Diktaturen wieder zurück aneignen sollten. Über die Art und Weise dieser Zurückaneignung wurde dagegen unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern heftig gestritten.
Nachdem der Rundgang beendet war, machten wir zunächst eine kleine Pause. Anschließend durfte jeder Kursteilnehmer die Interimsausstellung im Dokumentationszentrum besuchen, um die Eindrücke aus der Geländebegehung an den Stationen der Ausstellung und zu den dortigen Filmen zu vertiefen.
Die Schülerinnen und Schüler machten gewinnbringende und erkenntnisreiche Erfahrungen, wie sich an einigen ausgewählten Rückmeldungen gut erkennen lässt:
„Nürnberg ist sehr faszinierend gewesen. Die riesigen Gebäude ließen den Menschen klein und hilflos wirken. Am besten hat uns die Führung mit der Mitarbeiterin von „Geschichte für alle“ gefallen. Sie war sehr interessant und informativ. Wir haben viel über die manipulative Politik der Nazis gelernt.“
„Wir bekamen eine zweistünde Führung über das Gelände und konnten einen eindrucksvollen Einblick über die überdimensionalen und abscheulichen Pläne der Nazis erlangen. Es war ein sehr einprägsames Erlebnis für mich, das ich so schnell nicht vergessen werde.“
„Ich fand es sehr interessant, Geschichte nicht nur zu hören, sondern auch selbst zu erleben. Es ist definitiv ein Besuch wert.“
In diesem Sinne plant die Hohe Landesschule im März 2023 eine Exkursion mit dem Q3-Jahrgang in das KZ Buchenwald, um dort einen „Opfer-Ort“ näher zu analysieren.