Entscheidende DNA-Spur im Klinikmüll

von Martin Rothweil

Dr. Harald Schneider, Kriminalbiologe und Chef der DNA-Abteilung des Hessischen Landeskriminalamtes (HLKA), referierte kürzlich im vollbesetzten Philipp-Ludwig-Forum der Hohen Landesschule zum Thema „Meilensteine der DNA-Analyse – Der genetische Fingerabdruck in der Praxis“. Die Aufklärung von Straftaten und die Entlastung zu Unrecht Beschuldigter sind die zentrale Aufgabe des Molekularbiologen.

Fot: Dr. Harald Schneider war zu Gast in der Hohen Landesschule.

Kriminalistische Untersuchungen verlangen ein hohes Maß an Professionalität und nicht selten maximale Ausdauer von allen Beteiligten. Sorgfalt bei der Arbeit und der „richtige Riecher“ seien stets Teil des Erfolgsrezepts, so Dr. Harald Schneider, aber auch „Kommissar Zufall“ habe gelegentlich seinen Anteil am Gelingen. Prominentes Beispiel aus jüngster Vergangenheit war der Mordfall Walter Lübcke. Den entscheidenden Hinweis auf den Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten habe eine einzelne Hautschuppe geliefert, die auf dem Hemd des Opfers gefunden worden sei, „und dies auf Umwegen“, erläuterte der Experte. Teile der Kleidung Lübckes wurden damals zunächst im Krankenhaus entsorgt, als noch davon ausgegangen wurde, dass der Politiker ein Herzversagen oder einen Schlaganfall erlitten habe. Erst die Untersuchung seines Hemdes im Nachgang führte die Ermittler zum Täter: dem Rechtsextremisten Stephan Ernst. „Offen gesagt: Wir hatten Glück gehabt!“, resümierte Schneider nüchtern. „Es kann nur das Material untersucht werden, das auch gesichert wurde!“ Nach der Sicherung erfolge stets eine nochmalige gründliche Bewertung hinsichtlich der Tatrelevanz und anschließend die fokussierte Analyse. Selbst unscheinbare Details könnten einzelne Beweisstücke oder ganze Tatorte zum Sprechen bringen und damit den Täter entlarven, aber auch Unschuldige von einem Tatvorwurf entlasten.

Das leistungsfähige Werkzeug in der Hand des 61-jährigen Molekularbiologen und seines rund 70-köpfigen Teams am HLKA ist die DNA-Analyse („Genetischer Fingerabdruck“). Dabei widmen die Spezialisten ihre Aufmerksamkeit bestimmten Bereichen im Genom des Menschen, die – rein biologisch betrachtet – ohne Funktion sind, in denen sich aber Menschen voneinander signifikant unterscheiden. Das Ziel der Untersuchung ist es, eine Spur der Spurenverursacherin oder dem Spurenverursacher zuzuordnen und dabei tatrelevante von bedeutungslosen Spuren zu unterscheiden. Gelingt dies, so sind die Ergebnisse von DNA-Analysen wichtige Bausteine bei der Aufklärung von Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag und schweren Sexualdelikten, aber auch bei Eigentumsdelikten wie Einbruch, Einbruchdiebstahl usw. „Spurlos von einem Tatort zu verschwinden, ist praktisch nicht möglich und diesen Umstand nutze ich!“, bemerkte Schneider unmissverständlich.

1991 sei er mit dem Aufbau der DNA-Abteilung am Hessischen Landeskriminalamt beauftragt worden. Seitdem befindet sich die Arbeitsgruppe unter seiner Leitung.

Den 180 Zuhörerinnen und Zuhörern im Auditorium der HOLA berichtete der LKA-Experte in gleichzeitig faszinierender, aber auch sehr bewegender Art und Weise von seinen Aufklärungsarbeiten im Zuge zahlreicher Kriminalfälle. Dabei betonte er nachdrücklich: „Ein Verbrechen lohnt sich nicht!“. Schneider belegte dies anhand von beeindruckenden Zahlen: Mehr als 500 Tötungsdelikte und über 4000 Sexualverbrechen konnten durch ihn und sein Team bislang aufgeklärt werden. Neben den aktuellen Fällen kümmern sich die hessischen Spezialisten um die Aufklärung sog. „Cold Cases“, d.h. um teilweise mehrere Jahrzehnte zurückliegende „hoffnungslose Altfälle“, zu denen u. a. auch der Mord an der Hanauer Schülerin Sabine Steffen im Jahr 1989 gehörte. „Spur 135 führte uns zum Täter. Es war deutschlandweit der erste ‚Cold Case‘, der mittels DNA-Analyse elf Jahre nach der Tat aufgeklärt werden konnte“, führte Schneider aus.

„Natürlich stecken hinter allen Fällen Schicksale! Sowohl das Opfer selbst, aber auch die Familien von Hinterbliebenen sind Betroffene“, merkte Schneider an. „Ein Täter bekommt für seine Tat möglicherweise ‚lebenslänglich‘, überlebende Opfer und Angehörige haben ihrerseits lebenslänglich daran zu tragen und zerbrechen nicht selten an ihrer Last.“ Dass dieser Umstand den Kriminalbiologen nicht unberührt lässt, wurde deutlich spürbar. Gleichzeitig kenne er aber auch das erhebende Gefühl, wenn er mit den Ergebnissen seiner Arbeit einen oder gar den entscheidenden Beweis zur Aufklärung einer Straftat beitragen könne.

Mit Blick auf sein ehrenamtliches Engagement an der HOLA bemerkte Schneider mit einem Lächeln: „Ich komme immer sehr gerne zu Euch!“ Und die Freude ist beiderseitig: „Beeindruckend, was aus naturwissenschaftlichem Interesse und Sachverstand entstehen kann!“, „einzigartig“, „phänomenal“, „fesselnd und absolut spannend“, lauteten Rückmeldungen von Besucherinnen und Besuchern des Vortragsabends, die im Anschluss an die Veranstaltung noch zahlreiche Fragen an den Referenten richteten.