von Dr. André Griemert
Der Hanauer Geschichtsverein 1844 e. V. vergab am Dienstag, den 4. Oktober 2022, in der Hohen Landesschule in Hanau zum vierten Mal den Anton-Calaminus-Preis im Rahmen des von ihm ausgetragenen Geschichtswettbewerbes „Welche Geschichte(n) schreibt deine Stadt?“. Teilnahmeberechtigt waren alle weiterführenden Schulen aus dem Altkreis Hanau.
Foto: Schülerinnen und Schüler der Hohen Landesschule und der Karl-Rehbein-Schule erhielten den Anton-Calaminus-Preis beim Geschichtswettbewerb „Welche Geschichte(n) schreibt deine Stadt?“, im Bild zusammen mit Juroren, Laudatoren und den beteiligten Lehrkräften.
Sophia Pryshchepna und Said Aydinli (HOLA) bekommen als Drittplatzierte den Preis für ihre Arbeit zum Hanauer Bismarck-Denkmal. Sirin Hansen und Noah Röse (ebenfalls HOLA) erhalten den zweiten Platz für ihren fundierten Forschungsbeitrag zur lateinischen Briefkorrespondenz eines HOLA-Professors aus dem 17. Jahrhundert. Malte Oberbeck von der Karl-Rehbein-Schule (KRS) wird für seine Arbeit zu den Hanauer Turnern im Revolutionsjahr 1849 ausgezeichnet. Der Leistungskurs GE02 der Hohen Landesschule erhielt für die Konzeption einer neuen Informationstafel am Bismarck-Turm einen Sonderpreis.
Die Beschäftigung mit dem Bismarck-Turm in Wilhelmsbad resultierte aus einem Unterrichtsprojekt zur Herrschaft Otto von Bismarcks, das von Dr. André Griemert betreut wurde. Hierbei ging es um die geschichtskulturelle Einordnung eines historischen Monuments. Angesichts aktueller Erscheinungen, Denkmälern von historisch umstrittenen Personen umzubenennen oder Straßennamen zu entfernen, entschloss sich der Leistungskurs, eine Informationstafel zu verfassen, welche die Regierungszeit Bismarcks kritisch einordnet und seit Juli am Bismarck-Turm zu sehen ist. Aydinli und Pryshchepna recherchierten darüber hinaus Hintergrundinformationen zum Bismarck-Turm im Stadtarchiv und im Portal für Stadtgeschichte (Kulturforum).
Sirin Hansen und Noah Röse hingegen übersetzen und analysierten unter Leitung von Latein- und Geschichtslehrerin Anette Enders (HOLA) zwei lateinische Briefe des Professors Paul Tossanus, einer der bedeutendsten reformierten Theologen seiner Zeit. Tossanus floh 1622 nach der Plünderung Heidelbergs durch Tilly nach Hanau, wo er an der Hohen Landesschule Professor wurde, an der er bis 1631 wirkte. Die beiden Briefe richtete er 1619 und 1631 an den Baseler Theologieprofessor Sebastian Beck, ebenfalls einer der renommiertesten reformierten Theologen der damaligen Schweiz. Das Projekt ist ein Teil des Forschungsvorhabens zur Geschichte der „Hohen Landesschule als Tor zur Welt“, in dessen Rahmen unter anderem das Korrespondenznetzwerk der HOLA-Professoren erhoben wird. Das Netzwerk zeigt die enge Verbindung der an der HOLA damals unterrichtenden Gelehrten mit der reformierten Welt und ihren geistigen Größen. Zusammen mit der in Kooperation mit der Interessengemeinschaft Hanauer Altstadt e. V. (IGHA) laufenden Erschließung der Matrikel der Schule wird hierdurch der Stellenwert der Schule in der reformierten Welt perspektivisch nachvollzogen werden können.
Den ersten Preis erhielt Malte Oberbeck für seine Arbeit zur Hanauer Turnergemeinde im Revolutionsjahr 1849. Die Arbeit wurde von Markus Harzer von der Karl-Rehbein-Schule betreut. Für seine Arbeit mit dem Titel „Ein Sportverein führt Krieg. Was trieb die Hanauer Turngemeinde zu dem Feldzug 1849 in Baden gegen die überlegene preußische Armee?“ wurde Oberbeck bereits mit dem Landessieg im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2021 ausgezeichnet. 1837 wurde die Turngemeinde Hanau (TGH) gegründet. Zwölf Jahre später kämpften die Turner, obwohl sie dem Gegner militärisch weit unterlegen waren, in der Märzrevolution gegen die preußische Armee. Dieses Ereignis zog Oberbecks Interesse auf sich. Er vergrub sich im Archiv der Turngemeinde 1837 Hanau (TGH), durchforstete das Stadtarchiv und alte Zeitungen nach Quellen und tauchte ein in Geschichten und Ereignisse, die so in keinem Schulbuch stehen. Er fand heraus, dass die allgemein zu jener Zeit große Unzufriedenheit und das Gemeinschaftsgefühl die Turner anspornten, sich der preußischen Armee entgegenzustellen. Auf diese Weise gelingt es Oberbeck, die Verbindung von Sport und Gesellschaft beispielhaft zu skizzieren.
Der Laudator Werner Kurz äußerte sich voller Bewunderung ob der enormen Forschungsleistung der Schülerinnen und Schüler. Er selbst skizzierte seine eigenen schulischen Erfahrungen mit dem Geschichtsunterricht. Sehr eindringlich beschrieb Kurz, wie er zunächst im Geschichtsunterricht mit reinen Fakten von Herrscherhäusern malträtiert worden sei, um dann in der Oberstufe an der Hohen Landesschule in den sechziger Jahren mit Faschismustheorien der Marburger Abendroth-Schule und Themen konfrontiert zu werden. Nun waren es aber auch nicht mehr die berühmten Herrscher-Häuser, sondern die Sozialgeschichte, die den Geschichtsunterricht prägten. Zentral sei dabei, dass jede Zeit ihre Fragen an die Quellen herantrage und auf diese Weise zu neuen Erkenntnissen gelange. Dies sei nun auch bei den diesjährigen ausgezeichneten Arbeiten der Fall.
Stefan Prochnow, Fachbereichsleiter von der Hohen Landesschule, betonte in seiner Begrüßung die Wichtigkeit, die sich in der Beschäftigung mit historischen Themen ergebe. Insbesondere die Projektarbeit sei im Sinne der Wissenschaftspropädeutik eine zentrale Erfahrung für Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe. Im Übrigen sei dies auch für die berufliche Orientierung von jungen Menschen wichtig, beweise die erfolgreiche Teilnahme an solchen Projekten doch potenziellen Arbeitgebern, dass man sich mit Ausdauer und Akribie Themen nähern und widmen könne. Dr. André Griemert, Organisator des Preises, hob dagegen zusätzlich die Bedeutung der betreuenden Lehrkräfte – Anette Enders (HOLA) und Markus Harzer (KRS) – hervor.
Stadtrat Thomas Morlock betonte die enorme Wirkung, die dieser aus Vereinsmitteln dotierte Nachwuchspreis für die Geschichte des Vereins und für die Stadt Hanau selbst habe. Durch diesen wolle man einerseits junge Menschen dem Verein näherbringen, andererseits diese aktiv auffordern, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen. Denn nur aus der Vergangenheit könne man in der Gegenwart relevante und sichere Entscheidungen für die Zukunft treffen.
Die Preisträger erhielten eine Urkunde, ein Bücherpaket, eine einjährige beitragsfreie Mitgliedschaft im Verein, verbunden mit allen Vorteilen für Vereinsmitglieder, und zudem ein Preisgeld. Von der Stadt Hanau gab es ebenfalls eine kleine Aufmerksamkeit in Form von Gutscheinen. Die Beiträge werden im Neuen Magazin für Hanauische Geschichte erscheinen.
Die neue Wettbewerbsrunde endet mit dem Schuljahr 2022/23 Ende Juli 2023. Die Beiträge sind an Herrn Dr. André Griemert (andre.griemert@gmail.com) oder an Michel Sprenger (michael.h.sprenger@gmx.de) zu senden.