Beweisaufnahme im „Gerichtsprozess“ gegen die Globalisierung ist abgeschlossen
Der Globalisierung, um genauer zu sein dem Freihandel, wurde an drei Verhandlungstagen der Prozess gemacht. Angeklagt war die „Globalisierung“, Ankläger und Verteidiger waren Schüler der Hohen Landesschule (HOLA) aus dem Grund- und Leistungskurs Wirtschaftswissenschaften der Jahrgangsstufe Q4 von Lehrer Stefan Prochnow.
Dem Freihandel werden schlechte Arbeitsbedingungen sowie ungenügende Umweltstandards und ungerechte Wettbewerbsbedingungen vorgeworfen.
In der mehrstündigen Beweisaufnahme wurden Schülerinnen und Schüler der HOLA zu Zeuginnen und Zeugen aus aller Welt. Thomas Wille und Samuel Class, die als „Staatsanwälte“ die Anklage vertraten, benannten als Zeugen unter anderem einen 14-jährigen Jungen aus Bangladesch, der dort in einer Textilfabrik unter schlechten Bedingungen bis zu 16 Stunden täglich arbeiten muss. Die Verteidigung, im Schülergericht vertreten durch Silas Adams und Nahor Gerezghier, benannten unter anderem Timothy Cook von Apple als Zeugen, der über positive Aspekte des globalen Freihandels berichtete.
Bei der Vernehmung der Zeugin „Tabea Höfling“, die als Umweltaktivistin von Fridays for Future auftrat, gab es lebhafte Diskussionen darüber, inwieweit die Globalisierung für den Klimawandel und Umweltverschmutzung mitverantwortlich ist. In einem Gutachten stellt „Prof. Dr. Leon Gutknecht“ fest, dass ein Apfel aus Neuseeland unter Umständen umwelt- und klimafreundlicher sein kann als einer aus heimischer Produktion – dann nämlich, wenn der deutsche Apfel monatelang in Kühlhäusern gelagert werden musste, um im März oder April in unseren Supermärkten verkauft zu werden.
In ihrem Schlussvortrag plädierte die „Staatsanwaltschaft“ für eine zweijährige Freiheitsstrafe mit Bewährungsauflagen, etwa der Einhaltung globaler Mindeststandards in Bezug auf Löhne, Sozial- und Umweltstandards.
Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft plädierte die Verteidigung des Freihandels auf Freispruch. Sie seien sich einiger Fehler des Systems bewusst, jedoch gäbe es in jedem System Fehler. Und um die Fehler der Globalisierung zu verbessern, müsse man mit ihr zusammenarbeiten, nicht aber sie einsperren oder gar abschaffen.
In ihrem Urteil vom 11. März 2022 schließen sich „Richter“ Jannik Buschkrei und die „Schüler-Schöffen“ Emily Höfling und Yunus Cakmak weitgehend der von der Staatsanwaltschaft geforderten Bestrafung an: zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Da die Bewährungsauflagen aber nicht näher bezeichnet wurden, legte die Verteidigung Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein. Die höhere Instanz wird aber nicht mehr von den Schülerinnen und Schülern des Kurses durchgespielt – denn sie müssen sich jetzt erst mal fürs Abitur vorbereiten. Wünschenswert wäre, es gäbe tatsächlich ein Gericht, dass ein Urteil gegen schlimme Auswüchse der Globalisierung fällen und auch Verbesserungen durchsetzen könnte. Das Lieferkettengesetz bietet in der Realität Ansätze dazu, dass sich künftig deutsche Gerichte tatsächlich mit Arbeitsbedingungen im Ausland beschäftigen werden. Insofern sind die HOLA-Schüler einfach ihrer Zeit voraus.
von Leon Gutknecht (Hohe Landesschule Hanau, Jahrgangsstufe Q4)
Foto: Unterricht mal anders – „Schöffe“ Yunus Cakmak und „Richter“ Jannik Buschkrei des Hanauer „Schülergerichts“ verurteilten die Globalisierung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung